Fernwartung per Smartphone
Günther Heisskanaltechnik setzt auf intelligente Unterstützung im Service- und Abmusterungsprozess. Der Augmented Reality-Support blendet dabei Arbeitsanweisungen auf dem Endgerät des Kunden ein – ein normales Smartphone oder Tablet reicht dafür aus.
Ein Virus zeigt, wie wichtig digitale Prozesse sind. Laut dem Branchenverband Bitkom könnte die Corona-Krise für die Digitalisierung Deutschlands förderlich sein. „Die Krise ist ein Weckruf, die Digitalisierung nun massiv voranzutreiben“, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg auf einer Presseveranstaltung in Berlin. „Wir haben uns in der Vergangenheit zu viel Zeit bei der Digitalisierung gelassen. Jetzt heißt es, digitale Infrastruktur aufzubauen, Geschäftsprozesse umfassend zu digitalisieren und neue, digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln.“
In der Breite der deutschen Wirtschaft wird die Digitalisierung grundsätzlich als positiv angesehen. Jedoch zeigte eine repräsentative Umfrage, die noch vor den Ausgangsbeschränkungen unter Unternehmen mit 20 und mehr Beschäftigten aus allen Branchen von der Bitkom durchgeführt wurde, dass jedes dritte Unternehmen (34 Prozent) noch Probleme hat, die Digitalisierung zu bewältigen. In Rahmen dieser Studie gaben zwar mehr als drei Viertel (77 Prozent) der Unternehmen an, dass sie inzwischen eine Digitalstrategie entwickelt hätten, aber dabei gab es große Unterschiede je nach Firmengröße. Quasi alle Unternehmen mit 2000 oder mehr Beschäftigten verfügen über einen strategischen Ansatz. Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen sieht dies aber anders aus. „Wer nicht einmal für Teile seines Unternehmens eine Digitalstrategie aufgestellt hat, muss sich schon fragen lassen, ob er seine Existenz mutwillig aufs Spiel setzen will“, provoziert der Bitkom-Präsident.
Günther Heisskanaltechnik treibt digitale Transformation voran
Dazu gehört der Frankenberger Heißkanalhersteller Günther nicht. In vielen Bereichen wird zunehmend auf digitale Prozesse umgestellt. Der Weg zum papierlosen Büro ist hierbei nur ein kleiner Schritt. Bereits heute sind die Ressourcen in der Produktion vernetzt, um eine effizientere, tagesgenaue Kapazitätsplanung zu ermöglichen. Neue, digitale Technologien werden nun auch verstärkt auf den Bereich Service und Anwendungstechnik ausgerollt.
Und bereits seit dem vergangenen Jahr setzt man auf Augmented Reality (AR) im Service. Dr. Stefan Sommer, Prokurist und zuständig für die digitale Transformation bei Günther, legt die Vorteile von AR im Service- und Abmusterungsprozess für die Kunden anhand von Beispielen dar.
Augmented Reality reichert die ‚reale Welt‘ mit Informationen an
Seit dem letzten Jahr können sich die Servicetechniker der Günther-Kunden durch den Augmented Reality-Support intuitiv und intelligent unterstützen lassen. Sommer dazu: „Die Augmented-Reality-Technologie bietet viele Vorteile. So lassen sich Wartungsaufgaben, aber auch Optimierungen von Prozessparametern an der Spritzgussmaschine effizienter und auch schneller durchführen. Aber vor allem: Der Kunde bekommt schneller Unterstützung, die Reisezeit entfällt. Positiver Nebeneffekt ist, dass dies natürlich auch Kosten für alle Beteiligten spart.“
Wenn die Außenwelt erst aufgenommen und dem Benutzer dann mit Zusatzinformationen angereichert komplett als virtuelle Realität eingespielt wird, spricht man von „Virtual Reality“. Anders als bei Virtual-Reality-Anwendungen taucht der Nutzer von „Augmented-Reality“-Anwendungen nicht völlig in eine computergenerierte digitale Welt ein, sondern erlebt Kombinationen und Überlagerungen aus tatsächlicher und virtueller Realität. Er sieht also die Welt um sich herum so, wie sie ist. „Ganz neu ist Augmented Reality nicht“, merkt Stefan Sommer an. „In der Luftfahrt zum Beispiel wird den Pilotinnen und Piloten der künstliche Horizont mittels eines HUD (Head-up Display) angezeigt.“
AR-Support geht auch ohne Datenbrille
Vielfach kennt man Szenarien, bei denen weitere Informationen über eine Datenbrille ins Blickfeld projiziert werden. Das können einfache Symbole, Handlungsanweisungen oder Videos sein. Und wenn man mit diesen Zusatzinformationen interagieren kann, spricht man von Mixed Reality. Stefan Sommer erklärt es so: „Der Techniker des Kunden bekommt die Hilfestellungen oder hilfreiche Arbeitsanweisungen direkt auf sein Endgerät eingeblendet – das ist mit den gängigen Smartphone- und Tablet-Systemen möglich. Hierbei steht er in permanentem Kontakt mit einem Experten aus unserem Haus, der über die Plattform per Audioübertragung direkt mit dem Kunden kommuniziert und zielgerichtet die entsprechenden Hilfestellungen augmentiert und durch sein Erfahrungswissen helfen kann. Natürlich wäre auch der Einsatz von Datenbrillen, sogenannten Head Mounted Displays wie Hololens von Microsoft oder Google Glass, möglich. Dies ist jedoch immer abhängig von der technischen Ausstattung unserer Kunden. Erfahrungsgemäß sind Datenbrillen noch nicht weit verbreitet. Wir führen den Techniker mithilfe einer einfachen Schritt-für-Schritt-Anleitung durch den gesamten Prozess und dafür reichen Smartphone oder Tablet aus.“
Service-Team schaut dem Kunden „über die Schulter“
Günther hat den Zugang zum neuen Service leicht gestaltet. Der Anwender kann sich telefonisch oder per Email an seinen gewohnten Ansprechpartner bei Günther wenden und erhält dann eine spezielle Web-URL und zusätzlich einen QR-Code. Für die AR-Support-Sitzung mit dem passenden Ansprechpartner öffnet der Anwender einfach den Link auf seinem mobilen Endgerät oder scannt den QR-Code. „Der Anwender zeigt uns anschließend sein Anliegen mittels der Kamera seines Smartphones oder Tablets und so können wir ihn bequem zu einer Problemlösung führen“, erklärt Stefan Sommer. „Man muss sich das so vorstellen, als wenn jemand hinter einem steht und einen anleitet.“
Probleme in Indien werden von Frankenberg aus gelöst
Seit November 2019 setzt Günther die Softwarelösung der Marburger Firma Inosoft AG für Service- und Abmusterungsprozesse ein und hat positive Rückmeldungen bekommen. „Anfangs wurde die Idee, Augmented Reality einzusetzen, noch belächelt, aber das hat sich ganz schnell geändert. Zum Beispiel hatte im Dezember 2019 ein Kunde in Indien Probleme mit der Ansteuerung eines Heißkanalsystems mit seinem Regler. Zur Lösung dieser Angelegenheit hätte unser Chefanwendungstechniker Dieter Gebauer extra zum Kunden fliegen müssen, da ein telefonischer Support aufgrund von Sprachbarrieren und Verwechslungen leider nicht zielführend war. Nachdem wir dem Kunden die Vorteile unseres AR-Service dargelegt hatten, war er bereit, sich darauf einzulassen“, so Sommer. „Innerhalb einer halben Stunde hatten wir das Problem kostengünstig gelöst. Dieses Beispiel belegt die Vorteile eindeutig. Allein die Anreise wäre ein erheblicher Kostenblock gewesen.“
Fazit: Die Akzeptanz für AR-Support wächst
Mittlerweile wird der Augmented Reality-Support vielfach genutzt, insbesondere für Fragen der Regel- und Steuerungstechnik, um zum Beispiel die Regelungsparameter anzupassen oder um den Spritzgussprozess zu optimieren und weitere Hilfestellung zu geben.
„Diese Art des Supports wird sehr gut angenommen, nicht nur wegen der momentanen Corona-Krise“, so Stefan Sommer abschließend. „Die Kunden sind sehr offen, wenn wir sie auf diesen Service aufmerksam machen. Nur wenige blocken ab. Denn wir können so schnell eine Vorab-Diagnose nach einem sogenannten ‚First Look‘ stellen, ohne vor Ort zu sein. So können gezielt Lösungen erarbeitet und mit dem Kunden live durch virtuelle Anweisungen umgesetzt werden. Und die Technologie kann weltweit überall dort sinnvoll eingesetzt werden, wo konkreter, interaktiver Benutzersupport bei Serviceprozessen hilfreich ist.“