Augmented- und Virtual-Reality-Technik eröffnet dem Handel neue Wege der Kundenansprache. So lassen sich Produkte als 3-D-Simulation ins Wohnzimmer des Konsumenten projizieren oder dieser besucht vom stationären Laden aus virtuelle Orte, die seine Kauflust wecken.
Der Kunde schlendert durch ein SB-Warenhaus, lädt Ware in seinen Einkaufswagen und stellt sich an der Kasse an – alles, ohne seine Wohnung überhaupt zu verlassen, mittels Virtual-Reality-Brille. Als Video zeigte Globus ein solches Szenario 2019 in den sozialen Medien. Ein Aprilscherz eigentlich, doch entfaltet die Idee in Zeiten der Coronapandemie durchaus ihren Reiz: Studien des Softwareportals GetApp zufolge interessiert sich ein gutes Drittel der Deutschen in der Krise stärker als zuvor für den Einkauf via Virtual Reality (VR) oder Augmented Reality (AR).
Aufseiten des Handels ist das Interesse dagegen noch verhalten, so jedenfalls die Einschätzung von Cetin Acar, IT-Experte beim EHI Retail Institute, der bei der aktuell laufenden Umfrage zu IT-Trends im Handel ähnliche Ergebnisse wie 2019 erwartet. Damals hatten lediglich 16 Prozent der Befragten AR- oder VR-Technik im Einsatz, 20 Prozent einen solchen geplant. Eine deutliche Mehrheit von 64 Prozent gab an, das Thema lediglich zu beobachten oder gar nicht interessant zu finden.
Das mag an den Kosten für die Entwicklung entsprechender Anwendungen liegen: Henning Westerwelle, Gründer und CEO der auf virtuelle Welten spezialisierten Hamburger Digitalagentur Curious Company, beziffert sie für AR-Anwendungen auf mindestens 30.000 Euro und für VR-Anwendungen auf mindestens 100.000 Euro. „Vielen Händlern fehlt in der momentanen Krise schlicht das Geld für eine solche Investition“, stellt IT-Experte Acar fest.
Mehr Bestellungen, weniger Retouren
Zwar gibt es vordergründig kostenlos anmutende Angebote, wie die AR-App des chinesischen Smartphone-Anbieters Huawei, die virtuelle Anproben, etwa von Schuhen, erlaubt. Doch muss jedes einzelne Produkt speziell für die Anwendung digitalisiert werden – ein Kostentreiber. Dass sich der Aufwand durchaus lohnt, zeigt allerdings die Anwendung im Rahmen einer Kooperation von Huawei mit der chinesischen E-Commerce-Plattform JD.com: Virtuelle Anproben steigerten die Zahl der Bestellungen nach Angaben des Unternehmens um 19 Prozent und senkten die Retourenrate um 15 Prozent.
Auch im deutschen Handel gibt es Beispiele für den erfolgreichen Einsatz von Lösungen, die Kunden Produkte zu Hause virtuell erleben lassen, etwa Mister Spex oder Ikea. Auch Legos Konzept, Storebesuchern mittels AR-Technologie zu zeigen, wie Bausätze fertig aufgebaut aussehen, geht auf. Diese Ansätze funktionierten, weil sie Kunden eine konkrete Frage beantworteten, etwa ob ein Tisch in die Küche passt, erklärt Agenturchef Westerwelle. So werde eine Kauf-entscheidung unterstützt.
AR- oder VR-Projekte lohnten sich jedoch auch als Investition in Kundenbindung oder Markenbildung, glaubt er. Und: „Sie wirken am besten, wenn sie Dinge zeigen, die in der Realität nur mit hohem Aufwand oder gar nicht erlebbar sind.“ Ein Beispiel ist Globetrotters Virtual-Reality-Abenteuer-Trip, den Westerwelles Agentur realisiert hat.
Das reale Einkaufserlebnis in der virtuellen Realität nachzubauen, hält Westerwelle für wenig Erfolg versprechend. Da Gerüche oder das Gefühl der Einkaufstüte in der Hand fehlten, handele es sich am Ende bloß um die schlechte Kopie einer ohnehin vertrauten Erfahrung. „Die braucht niemand“, so sein Urteil. Diesem Konzept wird also auch in Zukunft wohl nur Erfolg beschieden sein, indem es am 1. April für Heiterkeit sorgt. © Globetrotter Welchen Eindruck eine Tour über den Huashan Trail in China, hinterlässt, das demonstriert der Globetrotter seinen Kunden in der Hamburger Stammfiliale.
Container für virtuelles Reisen
Welchen Eindruck eine Tour über den gefährlichsten Wanderweg der Welt, den Huashan Trail in China, hinterlässt, das demonstriert der Outdoorausrüster Globetrotter seinen Kunden in der Hamburger Stammfiliale. Auf einer Fläche von 16 Quadratmetern können angehende Weltenbummler das Abenteuer zu zweit in einem Container erleben, samt VR-Brille auf dem Kopf und zugehörigem Rechner als Rucksack auf dem Rücken. Temperaturen, Wind und Erschütterungen sind ebenfalls spürbar. Kostenpunkt: fast eine Million Euro. Die Installation bringe zusätzliche Kunden in die Läden und wecke die Outdoor-Lust bei ihnen, der zusätzliche Umsatz allein rechtfertige die Kosten aber nicht, erklärt Matthias Schwarte, Marketingchef von Globetrotter. Es gehe vor allem um Markenbildung: „Wir wollen das Thema Pioniergeist stärker an unsere Marke koppeln, indem wir ein einzigartiges Erlebnis bieten“, führt er aus. Die VR-Brillen kommen vom Hersteller HTC, für die Umsetzung inklusive der übrigen Technik wie Ventilatoren und Klimageräte zeichnet die Hamburger Digitalagentur Curious Company verantwortlich. © Ikea Der schwedische Möbelriese Ikea unterstützt seine Kunden bei der Entscheidung für das richtige Sofa mit einer für Android- und Apple-Smartphones verfügbaren App namens Place.
Wohnraumgestaltung via Smartphone
Der schwedische Möbelriese Ikea unterstützt seine Kunden bei der Entscheidung für das richtige Sofa mit einer für Android- und Apple-Smartphones verfügbaren App namens Place. Sie erlaubt es dank AR-Technologie, Möbel im realistischen Größenverhältnis in das Livebild der Smartphone-Kamera einzublenden und frei im Raum zu positionieren. Aktuell sind 7 000 Produkte in der App verfügbar. Der Aufwand für die Erstellung der dreidimensionalen Modelle ist nach Auskunft von Ikea-Sprecher Marc Willcox überschaubar, da etwa die Hälfte der Bilder für Katalog und Webseite ohnehin am Computer generiert würden. Die Place-App lohne sich für das Unternehmen gerade in der Krise, da Kunden ohne sie keinen realistischen Eindruck von den gesuchten Möbeln erlangten. Ob sie auch nach der Pandemie den Online-Umsatz weiter befeuern werde, sei derzeit schwer abzuschätzen – zu grundlegend habe sich das Kundenverhalten verändert. Die App entwickelte Ikea gemeinsam mit der dänischen Designagentur Space10; die Technik lieferte das niederländische Technologie-Unternehmen Twnkls. © Lego Wie das noch eingepackte Set von Lego aufgebaut aussieht, zeigt der dänische Spielzeughersteller Besuchern seiner Stores mit der sogenannten Digital Box
Schwebende 3-D-Modelle
Wie das noch eingepackte Set von Lego aufgebaut aussieht, zeigt der dänische Spielzeughersteller Besuchern seiner Stores mit der sogenannten Digital Box. Sie besteht aus Bildschirm, Kamera und einem hinter der Verkleidung verborgenen Computer. Wer mit einer Lego-Schachtel in der Hand davorsteht, sieht ein digital erzeugtes Spiegelbild seiner selbst – ergänzt um eine 3-D-Ansicht des aufgebauten Lego-Modells, die über der Schachtel schwebt. Die AR-Anwendung kann die jeweils 500 neuesten Sets erkennen und darstellen, die Daten werden alle zwei Monate aktualisiert. Lego-Sprecherin Anika Ciupka erklärt, der Aufwand lasse sich nicht genau beziffern, sei aber beträchtlich. Doch die Investition lohne sich: „Unsere Analysen deuten darauf hin, dass die Conversion Rate höher ausfällt, wenn Kunden die Digital Box nutzen.“ Die AR-Lösung entwickelte Lego in Kooperation mit dem dänischen Software-Unternehmen IGB ProReact. © Mister Spex Der Omnichannel-Brillenhändler Mister Spex erleichtert seinen Onlinekunden die Suche nach der richtigen Sehhilfe mittels einer Lösung, die virtuelle Anproben ermöglicht.
Browserbasierte Brillensimulation
Der Omnichannel-Brillenhändler Mister Spex erleichtert seinen Onlinekunden die Suche nach der richtigen Sehhilfe mittels einer Lösung, die virtuelle Anproben ermöglicht. Kunden benötigen für die Nutzung der browserbasierten Anwendung lediglich einen Computer oder ein Smartphone mit Kamera –schon können sie alle verfügbaren Brillenmodelle auf ihr Gesicht simulieren lassen. Nach Auskunft von Unternehmenssprecherin Katharina Berlet wird die AR-Anwendung gut angenommen und zeigt zudem einen „nachweislich positiven Effekt auf die Retourenquote“. Insofern rechne sich der erhebliche Mehraufwand für die Erstellung digitaler Modelle aller Brillen, stellt Berlet fest. Die Technik für die AR-Lösung stamme ursprünglich von einem Partnerunternehmen, das von Mister Spex genutzte Tool werde jedoch im Unternehmen selbst stetig weiter optimiert.
Digitale Welten
Augmented Reality bezeichnet eine computergestützte Darstellung, bei der die reale Welt um sonst nicht sichtbare Informationen oder Objekte ergänzt wird. Virtual Reality versetzt den Nutzer in eine komplett computergenerierte Umgebung, die zumeist über auf dem Kopf getragene Displays, sogenannte VR-Brillen, betrachtet wird.
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© Globe Trotter – Outdoorausrüster Globetrotter bietet seinen Kunden Virtual Reality Abenteuer.