Schon bevor der Handwerker das erste Werkzeug in die Hand nimmt, lassen sich dank VR-Brille die neue Küche oder das Bad begehen. Das bietet Vorteile für beide Seiten. Die Technik hat allerdings noch Schwachstellen.
Möbel werden bei den handwerklichen Innenarchitekten von Hammer Margrander Interior aus Ettlingen schon längst mit einer CAD-Software in 3D entworfen. Doch die Software bietet auch eine Schnittstelle in die virtuelle Realität. 2019 hat der Betrieb die ersten Gehversuche unternommen, die 3D-Visualisierungen aus dem CAD-System zu exportieren, damit Kunden mit Hilfe einer VR-Brille ihre neue Küche oder die Sitzgruppe im Wohnzimmer begehen können, bevor der erste Mitarbeiter am echten Produkt Hand anlegt.
Missverständnisse durch VR vermeiden
„Wir haben festgestellt, dass die Kunden sich über die virtuelle Präsentation besser vorstellen können, ob die neue Einrichtung genau ihrer ursprünglichen Idee entspricht oder wo vielleicht noch Änderungswünsche bestehen. So lassen sich Missverständnisse schon am Anfang ausräumen“, sagt Danny Hammer, Geschäftsführer bei Hammer Margrander Interior. Allerdings wies die erste verwendete VR-Anwendung noch einige Schwachstellen auf.
Deshalb tüftelt der Betrieb derzeit mit einem Softwareunternehmen an einer besseren Lösung. Der Gedanke dahinter: Virtual Reality bietet nicht nur dem Kunden einen Mehrwert, sondern spart auch dem Betrieb den Aufwand, nach der Produktion der individuell gefertigten Möbel Reklamationen bearbeiten zu müssen. Von den ersten umgesetzten Projekten weiß Hammer, dass die virtuelle Begehung mit den VR-Brillen bei den Kunden einen „Wow“-Effekt auslöst, der sich im normalen Beratungsgespräch schwer erzeugen lässt.
Damit der Eindruck für den Kunden möglichst real wird, verwendet der Betrieb ein 3D-Aufmaßsystem. Damit lässt sich der Raum beim Kunden scannen und die genauen Daten können in die Planungssoftware für die spätere virtuelle Begehung übertragen werden. „Wir denken, dass dieses zusätzliche Angebot bei dem einen oder anderen Kunden den Ausschlag geben kann, ob wir ein Projekt bekommen oder nicht“, sagt Hammer.
Startschwierigkeiten bei VR
Auch Günter Rußin, Geschäftsführer des Sanitärbetriebs Bad & Design aus Nürnberg, sieht die Nutzung von Virtual Reality in der Kundenberatung als nächsten Schritt der Digitalisierung. Die Monteure in der Firma sind bereits mit iPads ausgestattet, Arbeitszeiten werden mit dem Smartphone erfasst und die Buchhaltung ist papierlos organisiert. „Bei der Einbindung der VR-Software gab es jedoch ein paar technische Anlaufschwierigkeiten„, sagt Rußin. Rund ein Jahr hat der Betrieb gebraucht, bis der neu angeschaffte Hochleistungsrechner reibungslos mit der Software und den VR-Brillen zusammenarbeitete. Dabei hat der technikaffine Chef die Probleme größtenteils selbst gelöst. „Es ist schwierig, jemanden zu finden, der im Bereich VR Erfahrung hat“, sagt Rußin.
Zudem hat es eine Zeit gedauert, bis das Interesse bei den Kunden entstanden ist. Inzwischen ist der Betrieb jedoch sehr zufrieden und die virtuelle Badplanung wird immer beliebter. Alle Produkte, die der Kunde kaufen will, lassen sich dank der Datenmodelle im virtuellen Raum frei platzieren. „So können wir den Kunden Details wie Oberflächen und Farben viel besser als in einer Broschüre oder mit einer Farbkarte veranschaulichen“, sagt Rußin.
„Potenzial nutzen“
Mit dem aktuellen Reifegrad von Virtual und Augmented Reality (VR/AR) sind für das Handwerk nicht nur praktisch einsetzbare Anwendungsmöglichkeiten entstanden. Insbesondere versetzt die Leistungsfähigkeit der dafür nötigen Werkzeuge Betriebe in die Lage, damit selbst relativ rasch diese Anwendungen für den eigenen Betrieb aufzubauen.
Eine ähnliche Entwicklung konnte man bei der Webseiten-Erstellung beobachten: Zunächst brauchte man professionelle Agenturen mit spezialisierten Experten, um ein Webangebot aufzubauen, heute lässt sich ein ganzer Webshop schon mit einfach nutzbaren Baukastensystemen selbst erstellen.
An einem ähnlichen Punkt stehen VR und AR jetzt auch: Es gibt schon viele gute Lösungen, die direkt einsetzbar oder individuell anpassbar sind, und täglich werden es mehr. Vorhandene reale Umgebungen können beispielsweise recht einfach mit günstigen 3D-360°-Kameras aufgenommen, verändert und dann wie eine virtuelle Computerspiel-Umgebung interaktiv erkundet werden, wenn aktuelle Smartphones mit entsprechenden Kopfhalterungen in VR-Brillen verwandelt werden.
Ein Ansatz, der etwa in der Ausbildung beim Fliesenlegen in VR auch die Motivation zum Lernen vergrößert oder es Kunden mit einfachen Mitteln wie dem eigenen Smartphone erlaubt, sich bereits in der Planungsphase das umgebaute Badezimmer besser vorstellen zu können. Auch bei AR gibt es bereits fertige, auf dem Smartphone-basierte Lösungen, mit denen eine visuelle Fernunterstützung in der realen Umgebung des Nutzers ähnlich wie bei der Fernwartung von Computern möglich ist.
Erste leistungsfähige Datenbrillen, mit denen die natürliche Sicht um virtuelle Elemente erweitert werden kann, ohne ein Smartphone in der Hand halten zu müssen, sind im gleichen Preissegment bereits auf dem Markt. An den technischen Möglichkeiten und gebrauchstauglichen Lösungen zu überschaubaren Investitionskosten mangelt es also nicht.
Um die Chancen von VR/AR zu nutzen sowie reale Arbeits- und Lernprozesse im Handwerk zu unterstützen, sollten kleine und mittlere Betriebe den Austausch mit den Hochschulen viel stärker nutzen. Bundesweit stehen Beratungs- und Erprobungsangebote in den Laboren zur Verfügung, um sich zu informieren, wie diese Technologien im eigenen Unternehmen schon heute erfolgreich eingesetzt werden können.
Quelle:
Foto: Virtuell das neue Wohnzimmer erleben: Mit der VR-Technik verspricht sich Hammer Margrander Interior zusätzliche Aufträge. – © Hammer Margrander Interior