Hauchdünne elektronische Folien, die sich wie Abzieh-Tattoos auf den Körper auftragen, ermöglichen realistisches haptisches Feedback. Jürgen Steimle, Informatik-Professor der Universität des Saarlandes, möchte virtuelle Welten somit „begreifbar“ machen.
- Der Tastsinn ist ein wichtiger Faktor der Wahrnehmung, kommt aber bei den meisten VR- und AR-Anwendungen zur kurz.
- Jürgen Steimle, Informatik-Professor der Universität des Saarlandes, möchte dies mittels hauchdünner elektronischer Folien nun ändern. Diese lassen sich wie Abzieh-Tattoos auf den Körper auftragen.
- Um die Technologie, die er mit seiner Forschungsgruppe im Rahmen des EU-geförderten Projektes „InteractiveSkin“ entwickelt hat, näher zur Marktreife zu bringen, wird Steimle nun erneut durch den Europäischen Forschungsrat (ERC) mit einem so genannten „Proof-of-Concept-Grant“ unterstützt.
Die meisten Anwendungen der erweiterten Realität haben eines gemeinsam: Sie sprechen nur oder hauptsächlich den Sehsinn an. „Der Tastsinn bleibt in der Regel außen vor, obwohl er ein ganz entscheidender Faktor dabei ist, wie wir unsere Welt wahrnehmen“, erklärt der Informatik-Professor Jürgen Steimle, der die Forschungsgruppe zu Mensch-Computer-Interaktion an der Universität des Saarlandes am Saarland Informatics Campus leitet. Den Tastsinn zentral in virtuelle Welten zu integrieren, würde erheblich dazu beitragen, dass Nutzer diese immersiv erleben, so der Professor.
Wie sich der Tastsinn in virtuelle Welten integrieren lässt
Bedingt geht das nämlich schon heute. Eine verbreitete Möglichkeit sind in den Händen gehaltene Controller, die durch bewegliche Teile wie Motoren haptische Eindrücke erzeugen, oder auch Handschuhe, in die ebenfalls vibrierende und anderweitig bewegliche Elemente eingebaut sind. Hier bessere Ansätze zu entwickeln, hat sich Professor Jürgen Steimle zur Aufgabe gemacht.
Herausgekommen ist dabei unter anderem das Projekt „Tacttoo„. Der Name ist ein Kofferwort aus „taktil“, also den Tastsinn betreffend, und „Tattoo“ und beschreibt somit prägnant, was man in diesem Projekt entwickelt hat: Eine hauchdünne, nur 35 Mikrometer (= tausendstel Millimeter) dicke elektronische Folie, die sich wie ein Abzieh-Tattoo auf die Haut auftragen lässst und dort nur durch elektrische Reize, ganz ohne bewegliche Teile, den Tastsinn stimulieren kann. Weil die Folie so dünn ist, sind Gegenstände noch wie zuvor wahrnehmbar und tastbar. Das eröffnet neue Anwendungsmöglichkeiten. Wie auch mit anderen Methoden können durch Tacttoo völlig neue haptische Erfahrungen für rein digitale Objekte erzeugt werden (wenngleich auch wesentlich realistischer dank höherer Auflösung). Zusätzlich lassen sich jedoch auch reale Objekte um andere Sinneseindrücke erweitern.
Produktdesign: Haptik verschiedener Materialien ausprobieren
So könnte die Technik beispielweise beim Produktdesign zum Einsatz kommen. Mit Hilfe von Augmented Reality und eines physischen Prototyps ließe sich die Haptik von Materialien ausprobieren, bevor die Produktion beginnt. Oder im Falle eines elektrischen Gerätes könnte man verschiedene Positionierungen von Knöpfen und anderen physischen Bedienelementen erproben, indem man diese als künstliche haptische Sinneseindrücke simuliert. Auch in der Ausbildung, beispielsweise von Chirurgen, wäre die Technik denkbar. Denn bereits heute kommen hier Virtual-Reality-Umgebungen zum Einsatz. Diese ließen sich mithilfe von Steimles Methode um realistisches haptisches Feedback erweitern, ohne die nötige Feinmotorik der auszubildenden Mediziner einzuschränken.
In dem nun vom Europäischen Forschungsrat geförderten Projekt namens „Feel-XR: Feel-through Haptic Feedback for Augmented and Virtual Reality“ geht es Steimle und seinem Team um den Technologie-Transfer, also exakt darum, neue Anwendungsfälle zu identifizieren und bestehende zu verfeinern: „Durch Marktanalysen, Entwicklung von Anwendungen sowie die Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirtschaft wollen wir das kommerzielle Potenzial der Technologie explorieren, um Tacttoo in die Praxis zu bringen“, sagt der Professor. Die Europäische Union hat speziell für diesen Zweck die sogenannten „Proof-of-Concept-Grants“ vorgesehen, die nur an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben werden, die bereits eine höher dotierte EU-Förderung erhalten haben und dabei Grundlagentechnologien mit hohem Anwendungspotenzial entwickelt haben. Das Fördervolumen eines solchen Grants beträgt 150’000 Euro über 18 Monate.
Bild oben: Die Folie ist so dünn, das Gegenstände und Oberflächen durch sie nahezu unverändert wahrgenommen werden können. Bildquelle: © Universität des Saarlandes
Weitere Informationen: https://hci.cs.uni-saarland.de/projects/tacttoo/
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