In Deutschland kehrt das Interesse am Metaverse zurück, indem allen voran öffentliche Verwaltung und Industrie das Potenzial immersiver Technologien für sich erkennen.
Einst als das nächste große Ding der sozialen Interaktion gepriesen, schien das Metaverse nach anfänglichem Hype zuletzt an Fahrt zu verlieren.
Vage Versprechungen, unklare finanzielle Vorteile und kostspielige Hardware verhinderten bisher die Massenadoption. Doch in Deutschland ist nun eine zweite Welle des Interesses im Anrollen.
Regierungs- und Forschungseinrichtungen sehen in den Metaverse-Technologien Potenzial, um Unterhaltung, soziale Interaktion, öffentliche Verwaltung und industrielle Prozesse zu revolutionieren.
Das Metaverse ist ein neu entstehender virtueller Raum, der auf Blockchain, Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR), dem Internet of Things (IoT), Künstlicher Intelligenz (KI), Big Data, Spatial Computing und digitalen Zwillingen beruht. Er verspricht, eine neue Ära der Konnektivität und Innovation in vielen Bereichen zu schaffen und die Kluft zwischen der physischen und der digitalen Welt zu überbrücken.
Wird diese zweite Chance genutzt? Durch die Konzentration auf praktische Anwendungen im öffentlichen Dienst und in der Industrie will Deutschland das wahre Potenzial des Metaverse freisetzen.
Metaverse als Chance für die öffentliche Verwaltung?
Öffentliche Verwaltungen und Regierungen könnten vom Metaverse und der Integration ihrer Dienste in das Metaverse profitieren, wie Günter Wenzel, Teamleiter der Forschungsabteilung Building Culture Innovation am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO erklärt.
Das Team erforscht derzeit das Potenzial des Metaverse in verschiedenen Bereichen, insbesondere in der öffentlichen Verwaltung.
„Wenn wir als Metaverse die nächste Evolutionsstufe des Internets und die Überlagerung von Realem und Virtuellem Raum verstehen, dann würden Bürger in den verschiedenen Metaverse-Ökosystemen (Handel, Freizeit, Arbeit, Mobilität usw.) durch die Anbindung an die Prozesse der öffentlichen Verwaltung einen einerseits offenen aber dennoch sicheren Zugang zu Datenaustausch und zur Kommunikation mit den Behörden bekommen“, so Wenzel.
Die Bürgerinnen und Bürger werden in der Lage sein, von jedem Ort aus über Smartphone, Desktop, VR- oder AR-Brille auf diese Dienste zuzugreifen, wobei eine kryptografische Technologie zum Einsatz kommt, die Transaktionen, Aktionen, Zugriffsrechte und Rollenprofile sichert.
Laut Wenzel werden die Behörden in diesem Szenario nicht mehr an einem physischen Schalter mit den Bürgern kommunizieren, sondern über das Metaverse und werden in der Lage sein, die meisten Dienstleistungen völlig ortsunabhängig anzubieten.
Für die Verwaltung von Immobilien und Infrastruktur in Gemeinden oder Städten kann die Verwaltung so einen digitalen Zwilling eines Gebäudes erstellen, mit dem KI-gestützte Prozesse zur Überwachung und Instandhaltung sowie zum Abriss, Umbau und Neubau durchgeführt werden können.
VR und XR werden in der Verwaltung bereits erprobt
Für Wenzel ist es allerdings schwierig zu sagen, ob all dies wirklich die Effizienz von Behörden steigern wird, da dies wiederum vom jeweiligen Anwendungsfall abhängt.
Eine gemeinsame Initiative des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport, der Universität Münster und PricewaterhouseCoopers (PwC) hat jedoch bereits die Vorteile des Einsatzes immersiver Technologien in der öffentlichen Verwaltung aufgezeigt.
Während einer Reihe mehrtägiger Veranstaltungen im Jahr 2022, bei denen Führungskräfte und Interessenvertreter ihre vierteljährlichen Strategien entwickelten, waren 11 % der Teilnehmer mit den Ergebnissen des Workshops zufriedener, 16 % stellten fest, dass sich die Kommunikation verbessert hatte, und 58 % spürten ein stärkeres Gefühl der Kameradschaft unter den Kollegen.
Neben den VR-Kollaborationsräumen arbeitet die niedersächsische Landesregierung auch an einem weiteren Projekt zur Erprobung immersiver Technologien.
Das neue Projekt namens „Extended Reality“ soll das Potenzial von Extended Reality (XR) Technologien für Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung erkunden. Darüber hinaus plant Niedersachsen weitere wissenschaftliche Studien, die Aufschluss über den Mehrwert der Zusammenarbeit in VR gegenüber Mixed Reality (MR) im Rahmen der Projektarbeit und der Kommunikation mit Bürgern geben sollen.
Diese Projekte orientieren sich an der Strategie zum Web4 und virtuellen Welten, die die Europäische Kommission am 11. Juli 2023 verabschiedet hat, um „den nächsten technologischen Wandel zu steuern und ein offenes, sicheres, vertrauenswürdiges, faires und integratives digitales Umfeld für die Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen der EU zu gewährleisten“.
Ein Sprecher des niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport erklärte gegenüber Cointelegraph, dass die Ergebnisse der anstehenden Projekte zur Extended Reality grundlegend für die Festlegung künftiger Leistungsanforderungen an Headsets sein werden.
„In den Jahren 2024 und 2025 wird in Niedersachsen der Schwerpunkt jedoch weiter auf Pilotierungen zum Einsatz dieser Technologien liegen, da sich der Markt aktuell sehr rasant weiterentwickelt und insbesondere Rahmenbedingungen wie z.B. die vollumfängliche Erfüllung der DSGVO zunächst zu klären sind.“
Risiken und Chancen im Metaverse
Trotz der positiven Statistiken besteht in Niedersachsen immer noch eine gewisse Unsicherheit über den Einsatz immersiver Technologien in der öffentlichen Verwaltung. Wie der Sprecher anmerkte, ist es entscheidend, nicht nur das Potenzial, sondern auch die Grenzen und Gefahren dieser Technologien zu erkennen: „Ihre Integration in die Planungsprozesse erfordert einen sorgfältigen und durchdachten Ansatz.“
Interne Risiken erfordern besondere Aufmerksamkeit. Die Implementierung der erforderlichen Hard- und Software erfordert robuste Cybersicherheit und Datenschutz.
Die Landesregierung will auch die Auswirkungen der Technologie auf die Gesundheit der Mitarbeiter und den Umgang mit Daten bewerten.
Eine weitere Herausforderung stellt die Verfügbarkeit und Eignung von Headsets dar. Der Markt bietet zwar verschiedene Lösungen an, aber nicht alle entsprechen den Bedürfnissen der Verwaltung, vor allem wegen der bereits erwähnten Sicherheits- und Datenbedenken.
Abschließend ist die Ausbildung von Mitarbeitern und Bürgern und die Ausstattung mit den notwendigen Fähigkeiten für eine langfristige und nachhaltige Nutzung immersiver Technologien die Grundlage für die erfolgreiche Nutzung des Potenzials des Metaverse. Aber auch das ist keine leichte Aufgabe.
„Die öffentliche Verwaltung wird, wie auch die Wirtschaft, lernen müssen, für welche Anwendungsgebiete die neuen Technologien bestmöglich nutzbar sind. Basierend darauf kann auch die technologische Entwicklung seitens der Verwaltung so begleitet werden, dass ein offenes, sicheres, vertrauenswürdiges, faires und inklusives digitales Umfeld für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und die öffentliche Verwaltungen gewährleistet wird.“
Regionale Initiativen sind Triebfedern der Innovation
Niedersachsen und andere deutsche Landesregierungen versuchen bereits, Metaverse-Technologien zu erforschen.
Im Jahr 2023 starteten das Fraunhofer-IAO und das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung gemeinsam mit dem Virtual Dimension Center (VDC) in Baden-Württemberg ein groß angelegtes Metaverse-Projekt namens CyberLänd.
Im Mittelpunkt der vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg geförderten Initiative steht die Erforschung des politischen, industriellen und gesellschaftlichen Potenzials des Metaverse für das süddeutsche Bundesland.
Das Projektteam will allem voran zu einem tieferen Verständnis dieses komplexen Themas beitragen: Welche Rolle wird das Metaverse in Baden-Württemberg spielen? Wie sollten Regierung und Wirtschaft vorgehen? Wie kann die Beteiligung der Öffentlichkeit erleichtert werden?
Laut CyberLänd ist das Metaverse eine wichtige Chance für Deutschland, seine Position als Technologiestandort zu sichern. Extended Reality, Softwarelösungen für industrielle Geschäftsprozesse und öffentliche Dienstleistungen, die Virtualisierung und Kombination von 3D-Inhalten sowie dezentrale, interoperable Datenplattformen werden in Zukunft eine große Rolle spielen.
Der Aufbau eines robusten Ökosystems erfordert jedoch eine bessere Zusammenarbeit zwischen den deutschen Unternehmen und ihren digitalen Technologien.
Ein weiteres positives Beispiel für eine regionale Initiative, die Pilotprojekte mit Fokus auf Metaverse und KI hervorbringt, ist der Innovationspark Künstliche Intelligenz in Heilbronn. Das geplante Metaverse Lab wird eine Vielzahl von Bildungsmöglichkeiten und praktischen Anwendungsfällen für Bürger und Unternehmen bieten, um das Metaverse kennenzulernen und zu erleben.
Großkonzerne investieren ins industrielle Metaverse
Auch die deutsche Industrie erkennt die Vorteile des Metaverse für Entwicklung und Produktion. Siemens Energy nutzt das Metaverse bereits, um Kraftwerke zu modellieren, den Wartungsbedarf vorherzusagen und den Betreibern durch die Minimierung von Ausfallzeiten potenziell 1,7 Milliarden US-Dollar jährlich zu sparen. Im Jahr 2023 investierte Siemens mehr als 1,1 Milliarden US-Dollar in Deutschland, die Hälfte davon in einen neuen Campus in Erlangen. Und dieser Campus wird als globales Entwicklungs- und Fertigungszentrum sowie als Drehscheibe für Technologieaktivitäten im Zusammenhang mit dem industriellen Metaverse dienen.
Im Jahr 2024 wird Siemens gemeinsam mit Sony eine weitere Lösung für das industrielle Metaverse entwickeln, die das Xcelerator-Portfolio von Siemens für industrielle Software mit dem neuen System von Sony zur Erstellung räumlicher Inhalte kombiniert. Die neue Lösung wird es Designern und Ingenieuren ermöglichen, Designkonzepte in einem grenzenlosen, immersiven Arbeitsbereich zu erstellen und zu erforschen.
In ähnlicher Weise arbeitet BMW an einer digitalen Fabrik, die auf der Omniverse-Plattform von Nvidia basiert und in der der physische Bau erst nach umfassender Planung und Validierung der digitalen Modelle beginnt.
Das Metaverse ist tot – Lang lebe das Metaverse?
Das Metaverse bietet eine breite Palette wertvoller Anwendungsmöglichkeiten. In Deutschland ist eine zweite Welle des Interesses zu beobachten, die durch die Erforschung praktischer Anwendungen in der öffentlichen Verwaltung und der Industrie angeheizt wird.
Die öffentliche Verwaltung sieht das Potenzial für ein verbessertes Engagement der Bürger, die Erbringung von Dienstleistungen und die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern, wie erste Initiativen wie VR-Kollaborationsräume in Niedersachsen und das CyberLänd-Projekt in Baden-Württemberg zeigen. In ähnlicher Weise nutzen Industriegiganten wie Siemens und BMW das Metaverse für verbesserte Design-, Test- und Produktionsprozesse.
Natürlich bleiben Herausforderungen wie Datensicherheit, rechtliche Unsicherheiten und Hardwarebeschränkungen bestehen und müssen sorgfältig bedacht werden. Planung, Mitarbeiterschulung und Zusammenarbeit zwischen Regierung, Industrie und Forschern sind entscheidend, um diese Hürden erfolgreich zu meistern, so Wenzel vom Fraunhofer-IAO:
„Bislang ist das Metaverse nach strenger Definition ein Versprechen in die Zukunft da nicht alle benötigten Teiltechnologien die nötige Reife haben. Teiltechnologien und Geschäftsmodelle sind jedoch schon in kleineren Bündeln nutzbar und sollten immer vom Anwendungsfall her kommend entwickelt und umgesetzt werden. Dazu ist ein vorgelagerter Roadmapping- und Strategieprozess nötig, der oftmals aufgrund mangelnder Kompetenzen nicht angegangen wird. Unterstützung von Experten sowie ein offener Austausch zwischen Kommunen ist dafür eine Lösung.“
Quelle:
https://de.cointelegraph.com/news/metaverse-public-administration-germany-adoption