München und Hightech, das gehört zusammen wie Bayern und Berge. Mitten im Zentrum der Landeshauptstadt forscht brainboost an Neurofeedback- und Virtual-Reality-Technologien für ein modernes Mentaltraining. Spielerisch sein Gehirn stärken und ein Bewusstsein für Denkprozesse entwickeln, darum geht es dabei.
Das Sendlinger Tor, im Herzen von München. Das ist einer dieser Orte voller Leben und Treiben; ein Ort der tags wie nachts alle Rezeptoren des Passanten mit hektisch wechselnden Eindrücken versorgt. Und doch kann man hier, oder jedenfalls nur wenige Schritt entfernt, zur Ruhe kommen und mit all seinen Sinnen in virtuelle Parallelwelten abtauchen. Etwas abseits des geschäftigen Treibens haben die Brüder Tobias und Philipp Heiler Ende 2015 – der eine Medizinischer Leiter, der andere mit Bachelor-Abschluss in Sportwissenschaften und Master-Abschluss in Management – eine Praxis eröffnet und ein junges Team von Therapeuten um sich geschart. Warum München?
„Ich mag die Leute und die Stadt, das High-Tech- und Kreativpotenzial. Außerdem natürlich Bayerns Förderprogramme, von denen wir schon profitieren konnten“, sagt Philipp Heiler.
Der Name des Unternehmens: brainboost. Sein Zweck: Technologien des Neurofeedback anwenden und weiterentwickeln, neue Anwendungsfelder aufspüren und erschließen.
Das kann Neurofeedback
Vereinfacht formuliert lernen Menschen mit Neurofeedback, ihr Gehirn besser zu verstehen und zu kontrollieren; ganz besonders die unbewussten Abläufe. Neurofeedback erfasst die Gehirnströme eines Menschen. Elektroden auf der Kopfhaut messen den Aktivitätslevel im Gehirn. Daraus ablesbar sind Faktoren wie Konzentration, Aufmerksamkeit, Entspannung, Nervosität und Ängstlichkeit. Ein Verstärker wertet die Messungen aus und sendet sie als Zahlen an einen Computer. Der baut daraus Diagramme oder veranschaulicht sie als bildhafte Abstraktion des Gehirns. Farbflecken weisen dann auf neuronale Aktivität hin. Bei brainboost interpretiert der Rechner die Zahlenwerte zusätzlich als Input für Computerspiele. Feedback-Spiele nennt sich das Verfahren. Kraft seiner Gehirnaktivität kann der Mensch eine Spielfigur zum Beispiel durch ein Jump´n´Run Game steuern.
Wozu das? Wenn eine gewisse Gehirnaktivität einen Erfolg nach sich zieht und eine andere tut das nicht, dann beeinflusst dies das Denken des Menschen. Man spricht in der Psychologie von der „operanten Konditionierung“, also dem Lernen über Belohnung und Bestrafung. Das funktioniert schon mit sehr simplen Geschicklichkeits-Tests, bei denen der Proband per Konzentrationsübung etwa einen schwebenden Magier in der Luft halten soll. Im Fall des Gelingens stellt sich automatisch ein Lustgefühl ein: Der Mensch strebt nach Belohnung und den Glückshormonen, die bei Erfolg durch das Gehirn strömen. Mit sogenannten Feedback-Spielen kann der Mensch sein Gehirn trainieren. Genau wie einen Muskel.
Neurofeedback und Virtualität
Zu brainboost kommen Menschen mit völlig unterschiedlichen Bedürfnissen. „Wir haben im medizinischen Bereich Patienten, die einen hohen Leidensdruck verspüren und daher Neurofeedback machen. In Zusammenarbeit mit uns steigern sie ihre Konzentrationsfähigkeit oder bauen Ängste und Stresspegel ab. Aber auch andere Zielgruppen können ihre Leistungsfähigkeit und Lebensqualität verbessern“, erläutert Philipp Heiler. Mit simplen 2D-Geschicklichkeitstests gibt man sich dabei nicht mehr zufrieden. brainboost arbeitet mit Virtual Reality-Headsets, die den Betrachter von seiner Umwelt entkoppeln. „Wir haben die Vorteile von VR im Neurofeedback in einer Masterarbeit untersucht. Durch die höhere Immersivität ergibt sich ein schnellerer Lernprozess. Beim Neurofeedback möchten Menschen Kontrolle über Prozesse erlangen und haben anfangs keine Ahnung, wie das am besten klappen kann. Im gekapselten, immersiven VR-Rahmen geht dieser Lernvorgang schneller vonstatten.“
Momentan basiert brainboosts Neurofeedback vorrangig auf konventionellen 2D-Spielen im VR-Raum. „Unser eigentliches Ziel sind die coolen VR-Features, also Gestenkontrolle, Eyetracking und Events, die auf das Erlebnis in VR ausgelegt sind. Unsere Software soll dem Betrachter die Kontrolle darüber geben, welche seiner Gehirnaktivitäten Merkmale in der virtuellen Welt verändern“. Software-Prototypen auf Basis des Spieleentwicklungs-Werkzeugs „Unity“ laufen bereits.
Richtig spannend wird Neurofeedback nämlich in Kombination mit VR-Headsets und im Zusammenhang mit dem Alltagstransfer. Der Patient könnte in Zukunft eine 360-Grad-Aufnahme seines Büros mit in die Praxis bringen und erhält diese Aufnahme per VR-Headset eingespiegelt. Er trainiert dann nicht anhand abstrakter Szenen sondern findet sich in Situationen wieder, die ihm im Alltag Kopfzerbrechen machen. Klassenzimmer oder Seminarsaal zum Beispiel. „Im virtuellen Raum können wir Neurofeedback in vertrauter Umgebung umsetzen, der Transfer in die echte Welt fällt leichter“, erklärt Philipp Heiler.
Kosten und Nutzen
Ganz billig ist diese Variante des Gehirntrainings nicht. „Man muss ehrlicherweise sagen, dass ein sinnvoller Umfang zwischen 10 bis 30 Stunden liegt. Wir versuchen, durch Prozessoptimierungen die Kosten zu senken. Aber wir wollen auf keinen Fall an der Qualität sparen“, sagt Philipp Heiler. „Tatsächlich würde ich Neurofeedback als fortlaufenden Prozess bezeichnen. Ähnlich wie bei sportlichem Training kann ich mir Herausforderungen und Zwischenziele setzen, weil es mir gut tut. Hier sieht man deutliche Parallelen zur Meditation.“ brainboosts ehrgeiziges Ziel ist ein Modell ähnlich dem eines Fitness-Studios. Nur würde man in Gehirn-Gyms Geist statt Körper stärken.
Exakt 87 Euro kostet eine Stunde. Die gesetzlichen Kassen übernehmen die Kosten nicht, die privaten Kassen erkennen die Notwendigkeit im Einzelfall an. In weiser Voraussicht? „Ich sehe Neurofeedback als Zukunftstechnologie. Wenn immer mehr Jobs von Robotern übernommen werden, dann bleibt am Ende eine einzige Lebensaufgabe für die Menschen übrig: glücklich sein. Und das geht nur, wenn das Gehirn mitspielt. Genau diesem Zweck dient unser Neurofeedback.“
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Sensoren auf der Kopfhaut erfassen Gehirnströme und leiten sie an einen Computer weiter, der sie als Steuerungsimpulse in Spiele integriert. Foto: brainboost